ErLesenes (mein Lesetagebuch)

Heinerich

Alter Leser
In einem Literaturforum entdeckte ich solche Themen, in einem speziellen Unterforum.
Da etwas ausführlicher, über die unterschiedlichsten Bücher geschrieben wird, die ein Forenmitglied so verköstigt, lernt man einiges kennen.
Ich finde so ein Lesetagebuch ganz interessant und eröffne mal meines hier.
Event. gesellen sich ja noch andere dazu?
Gespräche über die vorgestellten Bücher und meine eigenen Gedanken dazu, sind ausdrücklich erwünscht!
:cool:
 

Heinerich

Alter Leser
Nun ist es passiert.
Schreibe ein ...., ja was denn eigentlich?
Ein Lese-Tagebuch sicher nicht! Nein, dass wäre mir zu anstrengend.
Aber es reizt mich, ab und an, etwas, was ich mir zu erlesen versuche, mitzuteilen. Vielleicht entdecke ich dabei ja auch etwas -für mich- Erlesenes ...


Ich beginne mal mit einem Sammelband, mit 4 Kurzgeschichten, einer Selbstverlegerin (Neudeutsch: Selfpublisher). Sie bezeichnet das Genre, in dem sie schreibt, als "Erotik-Fantasy". Sie hatte den Mut, eine
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, anzubieten und musste dann feststellen, "Schließlich findet diese Leserunde zum überwiegenden Teil mit Leuten statt, für die dieses Genre bisher nicht infrage gekommen ist."
Eigentümlich, nicht wahr. Im ganzen Forum gab es niemanden, der auch erotische Literatur ließt!? Oder mehrere, die das nicht öffentlich mitteilen!?
Ich mache dort nun auch mal mit, obwohl ich nicht zum "erlesenden" Kreis gehörte, weil die Art und Weise der Besprechung mir angenehm erschien.


Nach Jahrzehnten, ist dies also mal ein erstes Buch mit "Erotik drin". Lady Chatterley, Fanny Hill, und einiges von Miller ist sehr lange her. Und jemand, der seine Werke selbst verlegt, ist auch nicht oft vor meinen Augen.
Auf meinem Reader hat sich das Büchlein nun zwischen Thomas Mann und Sir Thomas More gestellt.


Ach ja, das Buch heißt "Fluch der Bestimmung" und wurde von Divina Michaelis geschrieben.


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Später dann mehr und auch anderes.





Mit den erotischen Kurzgeschichten bin ich nun weiter gekommen, werde eine Pause einlegen und erst einmal mit "
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" weitermachen ...


Ich wollte meinem ersten Eindruck, zu der "Erotik-Fantasy" nicht "ohne Weiteres" nachgeben und habe mir 2 Kapitel nochmals vorgenommen.
Die Autorin hatte, wenn ich mich richtig erinnere, in dem reader-Forum, erwähnt, dass sie sich, bei den literaischen Formaten (Roman, Erzählung, "Kurzroman" ...) auch an "Normseitenzahlen" orientiert. Sollte dies der Fall gewesen sein, hat dies m.E. zu einem "Stolpern" beim Erzählen geführt, was der bisherigen Qualität nicht unbedingt gut getan hat. Die Heldin verliert, innerhalb einer zu kurzen Zeit (beinahe augenblicklich) und viel zu massiv an Selbstsicherheit und -bewusstsein. Das wäre m.E. auch nicht durch die tiefe Enttäuschung/Verzweiflung zu erklären, die aus der "Geschichte" heraus durchaus nachvollziehbar erscheint.
Bei den "Erzähl-" und Sprachfähigkeiten, die ich, in den ersten beiden Kapiteln, entdeckt zu haben glaube, wäre m.E. "mehr drin gewesen".


Man kann eben keinen 100m-Lauf machen, wenn man sich (event.), bei 80m einen Zaun aufgestellt hat ... 😉
Nichtsdestotrotz finde ich, bei dem was ich bisher von anderen "Selfpublishern" gelesen habe, das Werk durchaus positiv. Von Verlagsautoren habe ich, insbesondere sprachlich, schon massiv Schlechteres gelesen ... 😉
 
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Heinerich

Alter Leser
War als kürzestfristiger Platzhalter gedacht, damit ich den Text, direkt unter den Eingangsbeitrag bekommen .... 🙄
 
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Heinerich

Alter Leser
Ein eher kürzeres Buch (192 Seiten) durfte mich unterhalten und auch amüsieren. In einer Kurzbesprechung, ich glaube auf WDR5, wurde ich aufmerksam auf:


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Da ich Fußball-"Fan" bin und zudem "Außenseiter" liebe, insbesondere, wenn sie mal zu den Gewinnern gehören, war das Buch sehr "anregend" und m.E. empfehlenswert.


Abriss der Handlung:
Sinderby ist ein Dorf im Nordosten Englands. Und es ist wirklich, mit 547 Einwohnern, klein! Auch "eigentlich" zu klein, um die Großen im Fußball, im F. A. Cup (sowas wie der DFB-Pokalwettbewerb) zu übertrumpfen.
Aber Sinderby hat "Typen", die mit List, Tücke, lauteren und nicht ganz lauteren Methoden und annähernd revolutionären Grundsätzen, in den Kampf ziehen und natürlich siegreich sind!


Die "Typen":
Die leben und "wirken" inmitten von Zuckerrübenfeldern, die bis über den Horizont hinaus reichen (dahinter: Zuckerübenfelder!).
Joe Gidner, Grußpostkartenverfasser und Chronist ist nicht nur einer der Helden, sondern auch der Erzähler dieser beinahe unglaublichen Begebenheit.
Mr. Arthur Fangfoss, ist 1. Mäzen der Mannschaft, 2. der "eigentliche" Vorsitzende. Gesegnet mit einer richtigen und einer halboffiziellen zweiten Ehefrau (Schwester der ersten Gattin), hat er so ziemlich alle Ämter inne, die in Sinderby zur Verfügung stehen. Außer Pfarrer und Schuldirektor! Er versteht nichts vom Fußball und ist auch nicht besonders interessiert daran.
Alex Slingsby, Mannschaftskapitän und Vikar, der, nach einem Schicksalsschlag sein Profi-Karriere aufgab und nun bei den Steeple Sinderby Wanderers, über die Außenbahn stürmt.
Sid Swift, einstiger Erstliga-Schützenkönig, der seine Karriere abrupt beendete, weil er den Sinn seines Tuns nicht mehr einsehen mochte. Wiedererweckt von von der Schwester des Außenstürmer-Vikars, die ihm 3 sinnvolle Perspektiven anbietet:
1. Hilfsprediger in ihrer Privatreligion
2. Torjägerkarriere bei den Wanderers
3. sich selbst!
Und dann natürlich noch:
Dr. Kossuth, aus Ungarn nach Yorkshire emigriert, dort Schuldirektor und der Schöpfer der revolutionären Regeln!


Meine Meinung zum Buch!
Eigentlich weiß man ja nun alles schon vorher! Das "Happy-End" (Pokalgewinn) ist bekannt und soooo viel Fußball findet, im Buch selbst, auch gar nicht statt.
Es geht eher um skurile Typen und Situationen, bei denen der Autor niemals übers Ziel hinausgeschossen ist. Die "Typen" bleiben skuril und werden immer sympathischer aber niemals werden sie ins Lächerliche beschrieben. Es dürfte wenige geben, die mit den Schlüsselfiguren des Pokalwunders und auch den anderen Bewohnern, die man, im Laufe der Zeit, kennenlernt, kein "Pint of ale" trinken und über "Erfolg" sinnieren würde!
Die Sprache des Autors erscheint, wenn die Übersetzung nah dran sein sollte, lebendig, feinfühlig und mit einem gekonnten Blick auf liebenswerte Details. Das alles gewürzt mit typisch "englisch-ironischen" Seitenhieben auf Eigenarten der Britten. Ihr "Fett weg" bekommen irgendwann auch die "Vertreter" einer sensationslüsternden Presse, deren Bemühungen um Schlagzeilen im Einfallsreichtum der Sinderbys und dem Schlamm von Rübenfeldern versinken.


Empfehlenswert? Ja! Insbesondere für nette Abendstunden, in denen man ein gelegentliches Lächeln, ab und an auch ein hämisches Grinsen, im Gesicht haben möchte.
Unterhaltungsliteratur und zwar eine gute, wie ich finde.
Keine hochphilosophischen Interpretationsherausforderungen ....


Oder??? Wenn ich so an die "Kossuths Regeln", abgeleitet aus den Sinderby-Gedächtnis-Marmorierungen denke ....
 

Minerva

New member
Ich finde so ein Lesetagebuch ganz interessant und eröffne mal meines hier.
Finde ich gut, war mir bisher unbekannt und gefällt mir 😆 Werde zumindest mitlesen und mal sehen, ob das auch was für mich wäre. Momentan nicht, Winter ist keine Lesezeit bei mir, erst wenn es wärmer wird widme ich mich wieder intensiv meinen Büchern.
 

Martina Schein

Freizeit-Nerd-Grufti
Danke für die Vorstellungen, Bernd.


Da ich nicht mehr so viel Zeit habe, wie in der Vergangenheit, konzentriere ich mich eher auf das Lesen als auf Rezensionen. Für alle gelesenen Bücher vergebe ich jedoch in Calibre Sternchen.


Nachstehend eine Übersicht meiner eBooks der letzten Monate (falls ich darf, Bernd. Wenn nicht, lösche ich sie wieder.).


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Heinerich

Alter Leser
Bei den Wiederholungen habe ich mich für etwas kürzeres entschieden.
Meine Wahl fiel auf Stefan Zweigs "Schachnovelle" ...
Warun, weiß ich nicht so genau. Vielleicht, weil das Werk oft, als exemplariches Beispiel für die literarische Form der
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genannt wird.


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Abgesehen davon, dass das Büchlein kostenfrei, aus dem Projekt Gutenberg, heruntergeladen werden kann, findet es sich, mit an Sicherheit grenzender Wahrschinlichkeit, in jeder Onleihe und auch den diversen Buchhandlungen. Daher setze ich mal keinen Link!


Momentan bin ich im zweiten Abschnitt. Nachdem der Erzähler, relativ kurz die gegenwärtige Situation (vor der Abfahrt eines Passagierschiffes, nach Buenos Aires) geschildert hat, wird die Lebensvergangenheit einer der Hauptpersonen aufgerollt. Es geht um "Mirko Czentovic, der Weltschachmeister". Dessen Werdegang und seine "untypische" und eigentümlich Begabung wird facettenreich beschrieben. Es entsteht das Bild eines eher "tumben" Geistes, der mit einer Art "Inselbegabung" neben einen bauerschlauen Wesen, "gesegnet" ist. Mit dieser Bauerschläue aber auch einer gehörigen Portion Rücksichts- und Schamlosigkeit, benutzt er seine Fähigkeiten, um materiellen Reichtum anzusammeln.
Die abwertende, beinahe abstoßende Beschreibung bezieht sich nicht nur auf seine "innere Ausstattung", sonder sie reicht bis ins äußere Erscheinungbild, indem Zweig ihn als "breitstirnig" beschreibt.
Der "Weltschachmeister" (nicht "Schachweltmeister"; eine Anspielung???) kommt also vollkommen anders daher, als bekannte (und reale) Schach"genies", die geistig wach und kreativ waren/sind. Czentovic ist eher eine Maschine, die "Figuren auf einem Holzbrett herumschiebt".
Mich begeistert immer wieder die Sprache Zweigs, der die erste Hauptperson, beinahe greifbar, entstehen läßt.


Ich habe mich immer schon gefragt, was die Gründe für Zweig waren, 1. einen "Schachmeister", als eine der Hauptpersonen zu wählen und auch einige "Antworten" gefunden. Mal sehen, ob sich diese Ansätze, wieder einmal, verändern und entwickeln.
 
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PeterHadTrapp

Käferfahrer
Hallo Bernd,


ich kann mir jetzt ein kurzes "OT-Posting" nicht verkneifen.
Das ist eine super Idee und die greife ich sofort auf. Ich hatte ja heute morgen meinen Senf zu der Cicero-Trilogie von R. Harris abgegeben und werde den Thread auch in ein "Lesewochenbuch" umwandeln.


Gruß Peter
 

Heinerich

Alter Leser
Schachnovelle, die 2.:


Nachdem Zweig, mit der Schilderung des Weltschachmeisters das biographische Element eingebaut hat, geht es anschließend wieder in die erzählerische Gegenwart. Als eine weitere "Schlüsselperson" wird der schottische Tiefbauingenieur "McConner" eingeführt. Dieser wird detaillierter dargestellt, allerdings nicht annähernd, wie bisher Czentovic.
McConner fungiert, für die erzählte Rahmenhandlung, als Katalysator. Der ehrgeizige Unternehmer, der sich selbst gern als gekonnter Schachspieler sieht und Niederlagen mit äußeren Einflüssen erklärt, hat genug Geld und Ehrgeiz, um den Schachmeister für Spiele zu bezahlen. Auch dies eine gewollte Analogie, zum Geschehen im „Dritten Reich“?


Jedenfalls nimmt nun die Novelle lesbar Fahrt und Tempo auf. McConner erfährt, dass ein Weltmeister des Spieles an Bord ist, vergißt augenblicklich, dass er in einer Partie ist, eilt, mit Ehrgeiz und Selbstüberschätzung, hinter dem erwünschten Gegner her und holt sich die Abfuhr mit Erfolgsaussicht. Der Meister teilt ihm mit, „es täte ihm leid, aber er habe kontraktliche Verpflichtungen gegen seinen Agenten, die ihm ausdrücklich untersagten, während seiner ganzen Tournee ohne Honorar zu spielen. Sein Minimum sei zweihundertfünfzig Dollar pro Partie.“
McConner bezahlt und Centovic kann sich schacheld, dem Gelderwerb widmen. Es kommt, natürlich wie es kommen muss: „Es hat wenig Sinn, über die Partie zu berichten. Sie endete selbstverständlich, wie sie enden mußte, mit unserer totalen Niederlage, und zwar bereits beim vierundzwanzigsten Zuge. Daß nun ein Weltschachmeister ein halbes Dutzend mittlerer oder untermittlerer Spieler mit der linken Hand niederfegt, war an sich wenig erstaunlich; verdrießlich wirkte eigentlich auf uns alle nur die präpotente Art, mit der Czentovic es uns allzu deutlich fühlen ließ, daß er uns mit der linken Hand erledigte.“
Mit der Schilderung der sofort vereinbarten „Revanchepartie“, wird die Intensität der Erzählung nochmals gesteigert. Nun wird die zweite wichtige Person, Dr. B. eingeführt. In einer, für die „Amateure“ verführerischen, Situation greift er ein! „Um Gottes willen! Nicht!“, flüstert er (ein), um anschließend weitere Züge vorzuschlagen, die schließlich zu einem Remis führen.
Der Zweikampf des Tumben, gegen den Kultivierten, hat damit begonnen!


Ich habe die Novelle schon des Öfteren gelesen und dennoch fesselt mich die Schilderung, wie das Eingreifen die Atmosphäre verändert, immer noch unverändert. Ich habe den Eindruck, dass ich schneller lese und mutiere beinahe, zu einen „echten“ Beobachter am Schachbrett. Wie oft habe ich mir gewünscht, mir stünde eine Notation zur Verfügung, um die entscheidende Phase und das Endspiel nachzustellen. Natürlich vollständig unrealistisch, da die Partie ja niemals stattgefunden hat!


Zweig versteht es m.E. meisterlich, den Leser „ins Geschehen“ hineinzuziehen.
 
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Heinerich

Alter Leser
Intermezzo: K von K (Kürzeres von Kafka)


Kleine Fabel
"Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." - "Du mußt nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie.
 

Heinerich

Alter Leser
Schachnovelle, zum 3.:


Das Czentovic die Niederlage, in Form des Remis, nicht auf sich sitzen lassen kann, dürfte nachvollziehbar sein. Das Angebot zu einer weiteren Partie, macht McConner sofort zu einem Zweikampf: „Selbstverständlich! Aber jetzt müssen Sie allein gegen ihn spielen! Sie allein gegen Czentovic!“. Dieser „Zuspitzung“ versucht Dr. B. auszuweichen, indem er erwiedert, „Auf keinen Fall, meine Herren«, stammelte er sichtlich betroffen. »Das ist völlig ausgeschlossen... ich komme gar nicht in Betracht... ich habe seit zwanzig, nein, fünfundzwanzig Jahren vor keinem Schachbrett gesessen... und ich sehe erst jetzt, wie ungehörig ich mich betragen habe, indem ich mich ohne Ihre Verstattung in Ihr Spiel einmengte... Bitte, entschuldigen Sie meine Vordringlichkeit... ich will gewiß nicht weiter stören.“
Indem er die Partie zu verhindern sucht, gibt er auch die Möglichkeit, ihn nun zu „überreden“, zumindest aber etwas über seine Beweggründe zu erfahren.
Zweig läßt nun, den Erzähler in der Novelle, den Kontakt suchen und finden.
Damit wird der nächste Abschnitt, der Binnengeschichte, eingeleitet. Wieder wechselt Zweig die Zeit und wendet sich einem biographischen Teil zu. Allerdings nicht so, wie bei Czentivic, bei er über diesen „erzählen läßt“, sondern er wechselt in die 1. Person. Der Leser wird dadurch zum direkten Zuhörer. Der Kontakt zu Dr. B. wird unmittelbar. Wir hören keine Schilderung aus 2. Hand, sondern erleben das Leiden „hautnah“ und direkt. Spätestens, wenn wir die Geschichte der Isolationshaft von Dr. B., in einem Wiener Luxushotel, „gehört“ haben, verstehen wir auch die leisen Andeutungen der „Schäden“ durch die psychische Folter: „kreidige Blässe“, „plötzlich gealtert“ …


Wir erfahren nun, auf den nächsten Seiten, die Qualen und die Belastungen, die durch die besonderen Haftbedingen erzeugt wurden. Dies ist auch der längste Teil der Novelle.


Während ich, lesend sehr schnell, in eine Identifikation komme, erinnere ich mich an einige Passagen aus Bonhoeffers „Widerstand und Ergebung (Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft)“. Bonhoeffer war zunächst auch in einer Isolationshaft und schildert ähnliches, wie Zweig den Dr. B. erzählen läßt.
Und wieder habe ich das Gefühl, dass Zeig, bedingt durch die Länge des Abschnittes und die Wortwahl, das „Zeitgefühl“ verändert. Die Zeit scheint kaum zu vergehen und alles bekommt etwas „quälendes“. Und doch kann ich „nicht davon lassen“ weiterzulesen.
Ein sehr beeindruckender Teil der Erzählung und eigentlich der „Mittelpunkt“.
Aus Briefen und Aufzeichnungen von Zweig erfahren wir, dass er sich wohl in einer ähnlichen „Isolation“ befunden haben muss. Er schreibt mehrfach, dass er sich abgeschnitten fühlt, durch den Krieg und durch seine Emigration. Er konnte nirgendwo mehr „heimisch“ werden.
 

Heinerich

Alter Leser
Intermezzo: Psalm 2


Hört, Despoten aller Zeiten
und eure Trabanten:


Warum rast und tobst du,
ganze Völker geißelnd?


Möge es weltweit klingen, dieses Lied,
gegen eure Furien des Unrechts,


gegen euren zynischen Hohn und Verachtung,
für das Menschenkind und seinen Gott.


Der Gott dieses Menschenkindes
schaudert und weint in seinem Himmel.


Dann brüllt Er, schüttelt seine Mähne
und springt – unsichtbar vor Licht


steigt Er in ein Menschenherz hinab:
Du, mein Hirte, mein Löwe,


du sollst meine Lämmer weiden,
ihre Wunden waschen und salben,


um mein Weltall zu hüten,
habe ich dich heute erweckt.


Mag es ein Zimmermannssohn,
ein Zöllner, ein Zeltmacher sein,


eine Königin
oder eine Putzfrau,


denen Er seine Leidenschaft einhaucht,
seine zarte Kraft des Erbarmens.


Sie sind voller Furcht. Doch sie gehen –
ihr Weg ist die ganze Erde


bis überall, wo noch höchste Mächte
Menschen zerschlagen wie irdene Krüge.


Weh euch, Trabanten, bestechliche Richter,
weh euch, Despoten, seid gewarnt.


Was für eine Welt wollt ihr
für eure Kinder – diese?


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Heinerich

Alter Leser
Schachnovelle, zum 4.:


Der Schluß!
Für das Ende der Novelle wechselt Zweig wieder in die Erzählerperspektive.
Dr. B. hatte, nach seiner Schilderung der Isolationshaft und der zunächst "mentalen" Stütze Schachpartien nachzuspielen, dann aber in einen krankhaften Zustand zu geraten, "ein einziges Mal zu erproben, ob er wirklich in der Lage ist, ein reales anstelle eines nur vorgestellten Spiels zu bestreiten".
Die Beschreibung der Partie erscheint mir zunächst annähernd normal, nimmt aber dann an "Zähigkeit" zu. In der Erzählweise hat dies hauptsächlich mit dem Verhalten Czentovics zu tun, der, im Verlauf der Partie bemerkt, dass Dr. B. mit Pausen, zwischen den Zügen, nicht umgehen kann und immer mehr in einen Erregungszustand gerät. Diese Erregung führt schließlich dazu, dass er, in seiner Wartezeit, beginnt, immer hektischer auf und ab zu laufen. Die Strecke, die er dabei zurücklegt, erinnert den Erzähler, in beängstigender Art, an die Abmessungen des Gefängnisraumes, in dem Dr. B. gefangen gehalten und psychisch gequält wurde.
Zwar gewinnt Dr. B. die Partie aber er scheint bereits gezeichnet und von seiner Vergangenheit eingeholt. Trotz der Warnung, durch den Erzähler, geht er, auf die vom "Meister" gewünschte Revanchepartie augenblicklich ein!!
Und nun, dehnt Czentovic jeden Zug auf die, mit der Amateurgruppe, vereinbarte Zugzeit, von 10 Minuten aus. Eine Situation, der Dr. B. offensichtlich nicht gewachsen ist! Die Regression, in die Zeit der Haft, führt schließlich dazu, dass Dr. B. sich nicht mehr in der Realtät der Revanchepartie befindet, sondern längst, in seinem Kopf eigene, neue Partien zu bestehen hat. Beim 19. Zug erklärt er ein Schach! Dieses mag in seinem Kopf gerechtfertigt sein, nicht aber in der Partie gegen Centovic!
Nun greift der Erzähler ein und reißt Dr. B. aus seiner Phantasiewelt und bewahrt ihn damit, vor dem endgültigen Zusammenbruch.
Dieser erkennt seinen Zustand und die Gefahr, bricht die Partie ab, entschuldigt sich und verläßt den Salon.
McConner reagiert mit lautstarker Enttäuschung, Centovic, gewohnt überheblich: "Schade [...] Der Angriff war gar nicht so übel disponiert. Für einen Dilettanten ist dieser Herr eigentlich ungewöhnlich begabt."
Mit diesem Satz endet die Novelle. Wir erfahren nichts mehr darüber, wie es mit Dr. B. weiter geht. Die Schicksale der Hauptpersonen erscheinen "unwichtig". Alles ist konzentriert auf das Geschehen der Rahmenhandlung und die biografischen Einschübe (Binnengeschichte) haben das Verstehen zu fördern. Ein Aufbau, der mich um so mehr darin bestätigt, dass die Novelle einen "Botschaftscharakter" hat, der, nach gegenwärtiger literaturwissenschaftlicher Diskussion, unterschiedliche Ansätze/Perspektiven beinhalten kann.
Für mich selbst steht dabei, Zweigs eigene Geschichte, mit (geistiger) Isolation, Krise, Flucht und später Selbstmord, sowie die Vernichtungsstrategie (um jeden Preis) der Nationalsozialisten, im Vordergrund.


Das ich die kleine Novelle "wärmstens" empfehlen kann, dürfte nicht verwundern!
Ich bin gespannt, wann sie mich wieder ruft, um gelesen zu werden.
 

Heinerich

Alter Leser
Intermezzo "Brechts Keuner"


Vaterlandsliebe, der Haß gegen Vaterländer


Herr K. hielt es nicht für nötig, in einem bestimmten Lande zu leben. Er sagte: "Ich kann überall hungern." Eines Tages aber ging er durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, daß er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also daß er wünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. "Wodurch", fragte Herr K., "bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, daß ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muß man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen."
 
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Heinerich

Alter Leser
Intermezzo: Dada von Prokofjew (Unvollendet)


Wissen Sie, wann …


»Wissen Sie, wann das Schiff nach Afrika geht?«, fragte der Elefant.
»Morgen früh«, sagte der Schauspieler, immer noch ungläubig.
»Das ist gut«, sagte der Elefant. »Solange alle schlafen, kann ich mich davonmachen, und vielleicht gelingt es mir, an Bord zu kommen.«
»Haben Sie vor, durch die Stadt zu gehen?«, fragte der Mann gequält.
»Ja, was denn sonst?«
»Aber das geht doch nicht. Jeder würde Sie dort erkennen. Man würde Sie sofort zurück in die Tierschau bringen.«
»Ja, das ist gut möglich«, stimmte der Elefant traurig zu, »offensichtlich ist so die Lage, da kann man nichts machen.«
Einige Minuten standen beide schweigend da.
»Leben Sie wohl«, sagte der Elefant knapp. Und er verschwand in der Dunkelheit.




Der Elefant streckte ihm seinen langen alten Rüssel, um eine Orange bittend, entgegen, vertrauensvoll und einfältig streckte der Elefant diesen Rüssel aus. Den Schauspieler packte die kalte Wut.
»Mistkerl!«, schrie er mit unbeschreiblicher Entrüstung und spuckte auf den Rüssel. Wie der Elefant darauf reagierte, sah er nicht, denn er hatte sich unverzüglich vom Käfig weggedreht und ging, das Publikum entnervt beiseiteschubsend, hinaus auf die Straße.
 

Heinerich

Alter Leser
Gerade habe ich ein Buch fertig gelesen, dass ich gestern, am frühen Nachmittag begonnen habe.
Ich erinnerte mich daran, nachdem ich einen Beitrag in einem Literaturforum gelesen hatte.


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Der Roman zeichnet das Leben und Wirken von Maximilian Kolbe, vom Studium in Rom, bis zu seinem Tod im KZ Auschwitz, nach.


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Und jetzt ist es früher Morgen und ich bin sowohl sehr ruhig, als auch sehr bewegt.
Dieser Roman, über unseren Bruder, erschien mir wieder wie eine Art Reportage. Während des Lesens verliert sich für mich jegliches Gefühl, dass es sich ja, zumindest zum Großteil, um Fiktion handelt. Was sicher auch an unserer/meiner inneren und lebendigen Verbundenheit liegt.


Ursprünglich wollte Walter Heinrich einen Film über Br. Maximilian verwirklichen und schrieb ein Drehbuch. Da sich der Film aber nicht finanzieren ließ, hat er ihn in einen Roman verwandelt. War er auch so berührt, dass er das Geschriebene nicht einfach liegen lassen konnte?
 

Heinerich

Alter Leser
Intermezzo:
Im Frühling (1950)


Wenn der Frühling läßt empor
Hoch den Himmel steigen,
Summt es in uns wie ein Chor
Nach des Winters Schweigen:
Friede, Friede sei auf Erden!
Menschen wollen Menschen werden.


O du dunkler Chor, der summt!
In uns ist ein Ahnen:
Sie, die glaubten wir verstummt,
Melden sich und mahnen:
Menschen sollen Menschen werden!
Friede, Friede sei auf Erden!


Und es ist ein solcher Schrei,
Daß die Berge beben,
Eine Flammenwüstenei,
Meere sich erheben,
Wenn nicht Friede wird auf Erden,
Was soll aus uns allen werden?


Ihr, gezeichnet von dem Leid
Derer, die gefallen,
Und ihr, die ihr jung noch seid,
Laßt den Ruf erschallen:
Friede, Friede sei auf Erden!
Menschen, laßt uns Menschen werden!


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